Von der Studierenden zur wissenschaftlichen Mitarbeiterin … und dann auch noch mit besonderem Unterstützungsbedarf

Ein Erfahrungsbericht von Nicole Andres

Wenn ich auf meine Anfangszeit im Projekt AKTIF zurückblicke, wird mir klar, dass meine Arbeit im inklusiven Team seinerzeit durch viele ungeahnte Barrieren geprägt war, die ich nun doch scheinbar relativ gut und irgendwie auch ein bisschen stolz überwunden habe. Als Rollstuhlfahrerin, mit einem Beatmungsgerät versorgt und rund um die Uhr sowohl auf Arbeits- als auch Pflegeassistenz angewiesen, stand mir ohnehin schon ein nicht unkomplizierter Einstieg ins Berufsleben bevor. Eine weitere Schwierigkeit ergab sich offenbar aus der Tatsache, dass ich noch als Studierende der EvH geführt wurde und daher bereits diverse Leistungen erhielt und dann plötzlich einen zusätzlichen Antrag auf Arbeitsplatzausstattung und Arbeitsassistenz für meine Festanstellung an derselben Hochschule stellte. Der - so wurde mit gesagt - äußerst ungewöhnliche Umstand, dass die von mir angestrebte Stelle innerhalb von zwei Wochen zu besetzen war und daher eine kurzfristige Bearbeitung meiner Anträge erforderlich machte, stellte die Kostenträger vor weitere ungeahnte Herausforderungen.

Lange Wartezeiten und zähe Konflikte

Die Konsequenzen daraus bekam ich schon bald zu spüren: lange Wartezeiten und zähe Konflikte mit Kostenträgern prägten über mehrere Monate meinen (Arbeits)alltag. Mit einer ganzen Menge Geduld, alltäglichem Improvisationstalent und umfänglicher Unterstützung durch meine Teamkolleg*innen und unsere Projektleiterin, die sich sogar zwischen den Jahren für mich und meine Belange eingesetzt hatte, ist es mir gelungen, diese anstrengende Zeit zu überstehen und nebenbei einfach meinen Job zu machen, vermutlich mal mehr und mal weniger gut. Denn dass diese immer wieder aufflammenden Verhandlungen und die langwierigen Konflikte, gepaart mit dem andauernden Gefühl der Hilflosigkeit und Ungewissheit auf Dauer an den Nerven zerren und einen daran hindern, seine volle und von anderen und sich selbst erwartete Arbeitsleistung erbringen zu können, d.h. einfach einen guten Job zu machen, dürfte für alle nachvollziehbar sein. Bitter war vor allem die Tatsache, dass sich der gesamte Prozess auf nahezu ein ganzes Jahr erstreckte und abgesehen von kleinen Zwischenerfolgen nie ein wirkliches Ende in Sicht war.


Ein großer Kampf

Während meine Arbeitsplatzausstattung zügig nach meinem Beschäftigungsbeginn bewilligt und eingerichtet wurde, stellte mein Antrag auf Arbeitsassistenz einen großen Kampf dar. Denn ähnlich wie in meinem Privatleben, stellte mein "komplexer Einzelfall" die Kostenträger vor besondere Herausforderungen. Wie kann es sein, dass die Antragstellerin unterschiedliche Leistungen beantragt, weil sie studiert und arbeitet? Und wie ist es möglich, dass eine Intensivpatientin so aktiv ist? Und wieso kann sie nicht jeder andere behinderte Mensch auch, Arbeitsassistenz und Pflegeleistungen aus einer Hand beziehen? Und was fällt ihr überhaupt ein, nach kurzfristigen Lösungen zu verlangen, ohne dem üblichen bürokratischen Werdegang seinen Lauf zu lassen… und dann auch noch Widerstand gegen angeforderte Daten auszuüben?


Der Kampf hat sich gelohnt

Unendlich viele Briefe, Stellungnahmen und Gutachten flossen zwischen dem Kostenträger und mir hin und her. Ganze 11 Monate hat es gedauert, bis endgültig klar wurde, dass ich sowohl Arbeits- als auch Pflegeassistenz benötige und diese auch bekommen sollte. Ganze 11 Monate, in denen ich erfahren durfte, was misslungene Inklusion ist und was uns zurzeit noch am inklusiven Arbeitsmarkt hindert. 11 erfüllte Monate waren es aber auch, in denen ich erleben durfte, was wahre Menschlichkeit und Inklusion im Team bedeuten: wenn nicht nachgefragt wird, warum diese oder jene Arbeit heute einmal etwas länger gedauert hat... wenn man sich nicht erklären muss, weil man eine kurze Auszeit benötigt… wenn nicht darüber diskutiert wird, dass ein Besuch in diesem oder jenen Lokal ohne barrierefreies WC für den Rest der Gruppe doch viel schöner gewesen wäre… wenn man einfach Teil einer vielfältigen Gemeinschaft sein darf… ganz selbstverständlich… so wie man ist… mit all seinen besonderen Bedürfnissen und manch mühseliger oder aufbrausender Stimmung angesichts der vielen parallel laufenden Kämpfe… wenn man ehrliche Wertschätzung für seine Arbeit erfährt… da spürt man, dass sich der lange Kampf doch irgendwie gelohnt hat!

zurück zur Übersicht